Kurzgeschichten

Stille



Eine Arabische Fabel

Zu einem einsamen Mönch kamen eines Tages Menschen. Sie fragten ihn: „Was für einen Sinn siehst du im Leben der Stille?“

Der Mönch war eben beschäftigt mit dem Schöpfen von Wasser aus einer tiefen Zisterne. Er sprach zu seinen Besuchern: „Schaut in die Zisterne! Was seht ihr?“

Die Leute blickten in die tiefe Zisterne: „Wir sehen nichts!“

Nach einer kurzen Weile forderte der Einsiedler die Leute wieder auf: „Schaut in die Zisterne! Was seht ihr?“

Die Leute blickten wieder hinunter: „Ja, jetzt sehen wir uns selber“

Der Mönch sprach: „Schaut, als ich vorhin das Wasser schöpfte, war das Wasser unruhig. Jetzt ist das Wasser ruhig. Das ist die Erfahrung der Stille. Man sieht sich selber!


Sören Kiekegaard

Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein gößerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer.

Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, daß Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.

So ist es: 

Beten heißt – nicht sich selbst reden zu hören,

Beten heißt – still werden und still sein und warten, bis der Betende Mensch Gott hört


Copyright:  Silke Maisack