Kurzgeschichten

Bohnen des Dankes



Man erzählt sich die Geschichte von einer Weisen,

die sehr alt wurde tief glücklich lebte.

Sie war eine große Lebensgenießerin und verließ das Haus nie, ohne sich eine Handvoll Bohnen einzustecken.

Sie tat dies nicht, um die Bohnen zu kauen. Nein, sie nahm sie mit, um so die schönen Momente des Lebens bewußter wahrnehmen und um sie besser zählen zu können – für jede Kleinigkeit, die tagtäglich erlebte:

z.B. einen fröhlichen Schwatz auf der Straße, ein köstliches Brot, einen Moment der Stille, das Lachen eines Menschen, eine Tasse Kaffee, eine Berührung des Herzens, einen schattigen Platz in der Mittagshitze, das Zwitschern eines Vogels

- für alles, was die Sinne und das Herz erfreute, ließ sie eine Bohne von der rechten in die linke Jackentasche wandern.  Manchmal waren es gleich zwei oder drei.

Abends dann saß sie zuhause und zählte die Bohnen aus der linken Jackentasche. Sie zelebrierte diese Minuten. So führte sie sich vor Augen, wie viel Schönes ihr an diesem Tag widerfahren war und freute sich. Und sogar an einem Abend, an dem sie bloß eine Bohne zählte, war der Tag gelungen – es hatte sich gelohnt, ihn zu leben.


Copyright:  Silke Maisack